Die rote Fahne

SPD Neustadt in Holstein Chronik Die rote Fahne

 

Am 12.6.1910 wollte die Zahlstelle Lübeck des Verbandes der Fabrikarbeiter einen Ausflug nach Neustadt machen. Der Geschäftsführer Radden bat am 25.5.1910 um die Erlaubnis, die Gewerkschaftsfahne beim Umzug durch die Stadt mitführen zu dürfen. Dies wurde von der Polizeiverwaltung abgelehnt.

 

Landrat Springer an Geschäftsführer Radden: Nach Ihrer eigenen Angabe besteht die Fahne, um die es sich hier handelt, auf beiden Seiten in der Hauptsache aus roter Seide. Die Mitführung und Entfaltung einer derartigen Fahne als eines sozialdemokratischen Abzeichens ist aber namentlich in einem öffentlichen Aufzuge in Neustadt in hohem Maße geeignet, zu Störungen der öffentlichen Sicherheit, Ruhe und Ordnung und des Verkehrs zu führen. Die Polizeiverwaltung hat daher die Genehmigung dazu mit Recht versagt.

Am 15.6.1910 berichtete dann die Volkszeitung über den Ausflug:

Ein willkommener Besuch traf hier gestern mittag per Dampfer für die organisierte Arbeiterschaft Neustadts ein. Die Zahlstelle des Fabrikarbeiter-Verbandes Lübeck, die uns schon im vorigen Sommer mit 150-160 Personen besuchte, kam in diesem Jahre mit 300 Personen an. Die Mitglieder der hiesigen Zahlstelle sowie eine Anzahl Parteigenossen nahmen ihre lieben Gäste in Empfang; aber auch eine große Anzahl Einwohner aller Stände hatten sich eingefunden, so daß ein sehr reges Leben am Hafen und auf der Brücke herrschte.

Mit ihrer eigenen Musikkapelle von 10 Mann an der Spitze stellten unsere Lübecker Freunde sich am Hafen auf, und unter den Klängen des Sozialistenmarsches ging es dann die Brückstraße entlang dem „Kolosseum“ zu. Hier wurde mit reichlich 100 Personen zu Mittag gespeist. Dann zerstreuten sich unsere Freunde nach allen Himmelsrichtungen und besichtigten die Stadt und deren Umgegend.

 

Im „Kolosseum“ hielt später der Vorsitzende der Lübecker Zahlstelle, Genosse Radden, eine kleine Ansprache, in der er scharf mit der Handlungsweise des Landrats in Cismar zu Gericht ging, der es ihnen verboten hatte, ihre Fahne dem Zuge voran durch die Straßen zu tragen, „weil sie“, wie der Herr Landrat Springer schrieb, „nach Ihren eigenen Angaben auf beiden Seiten rot ist.“(!)

 

Dann ging es wieder mit voller Musik nach dem Hafen, wo schon ein ganzer Teil Neugierige wartete. Bald darauf verließ denn auch der „Condor“ wieder mit einer vollen Ladung Arbeitsbienen unseren Hafen. Obgleich der Sozialistenmarsch zweimal in den Straßen Neustadts erklungen ist und der Boden von so vielen Roten gestampft wurde, steht unser Städtlein heute doch noch auf demselben Fleck, und der Herr Landrat kann ganz beruhigt sein. Wenn auch die Fahne vorangetragen worden wäre, so hätte es trotzdem noch gestanden!

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